Baseball
- lucialaggner
- 2. März 2022
- 3 Min. Lesezeit
Ich bin 1988 in Graz geboren. Als die Jüngste von vier Töchtern zweier Akademiker*innen mit Doktortitel, die sich die Gleichberechtigung zumindest an der Türe mit dem Messingschild „Dr. Laggner“ ausmachten. Als promovierte Altphilologin und Sportlerin konnte meine Mutter als Latein- und Turnprofessorin dem kindgerechten Beruf nachgehen. Mein Vater führte einen eigenen Betrieb in der Nano- und Röntgenstrukturtechnik und ein naturwissenschaftliches Institut der Biochemie an der Universität. Über die Arbeit sprach er zu Hause nicht.
Geboren bin ich in der Schillerstraße, die allerdings mit vier Kindern so eng wurde, dass meine Mutter allergisches Asthma bekam und wir ehestmöglich übersiedelten. Gemeinsam mit meiner Großmutter, die in der Schillerstraße einen Stock unter uns wohnte, ließen meine Eltern ein Haus in der Angelo-Eustacchio Gasse bauen. Die Erinnerungen an meine Kindheit beginnen dort.
Unter vielen Kindern, die in den umliegenden Häusern wohnten, wuchs ich wie in einer Siedlung auf - bestehend aus lauter Einfamilienhäusern. Ein Phänomen dieser Jahre war das weitgehende Fehlen von Gartenzäunen. Im Sommer bauten die Älteren von uns Baumhäuser auf den Wiesen, die noch unbebaut und mit Bäumen bestückt waren, von denen man runterfallen und sich den Arm brechen konnte. Auf selbigen Freiflächen wurden Footballfelder vermessen, Tore gebaut und aufgestellt, Teams formiert und Matches ausgetragen. Ich erinnere mich an einen Mopedhelm, der zum Footballhelm umfunktioniert worden war, indem zerstückelte Kleiderhacken gebogen und in das Futter des Helms so verzahnt wurden, dass die Gitterstäbe das Gesicht vor den Stößen gegnerischer Spieler*innen schützen konnten.
In dieser Zeit wurde auch ein Baseballfeld vermessen - einer der Älteren hatte einen Baseballschläger zu Ostern bekommen. Die Kleinen hatten, ihrer Körpergröße geschuldet, den Catcher zu mimen, also unmittelbar hinter dem mit dem Schläger Ausholenden zu hocken und gegebenenfalls den gefischten Ball zu fangen. Eine missliche Rolle, da durch den Knall beim Aufprall des Balls auf den Schläger die Augen entweder reflexartig geschlossen oder aber weit(er) aufgerissen wurden und der Ball meist nur mit viel Glück und Zufall in dem zu großen Handschuh, der uns übergezogen wurde, landete. Diesen Handschuh sollten wir vor unser Gesicht halten, das idealerweise aus dem zu großen Mopedhelm schaute. Meist jedoch rutschte der Helm ins Gesicht und weder sah man noch sah man sportlich, cool und vorbereitet aus. Retrospektiv möchte ich meinen, dass mir das Sportliche und Coole durchaus ein Anliegen war und ich daher den Helm in weiser Voraussicht, er würde mir wieder ins Gesicht kippen und die Sicht verstellen, kurz vor meinem Einsatz, schon hockend, abzusetzen pflegte.
Gut in Erinnerung geblieben ist mein Catcher-Auftritt, also hockender Einsatz, bei dem der vor mir stehende, etwa 14 Jahre alte Bub schon zwei Mal gefischt hatte und nun mit aller Kraft den ihm noch zustehenden einen Ball treffen wollte. Als der ausholende Schläger meine Nase streifte, stockte ich kurz, starrte allerdings weiter, wie laut Protokoll angewiesen, sah den Ball auf mich zufliegen und wurde mit voller Wucht von dem wieder zurück- und auf den Ball zuschnellenden Schläger getroffen. Meine Nase war zwischen Schläger und Ball getreten. Fehler. Drei durchgeblutete Handtücher, zwei Geschirrtücher und etwas besorgte Blicke einer fürsorglichen, aber durchaus nicht hysterischen Mutter später, war der Spuk vorbei.
Meine Nase ist wie durch ein Wunder gerade geblieben. Und die mich erst- und einzig-versorgende Mutter hat drei Männer und eine Frau großgezogen. Selbiges Mädchen saß - nicht nur während dieses Schauspiels - nur von einer recht lichten Hecke getrennt, aber unbeobachtet, in der Sandkiste und aß Sand.
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