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Der Fuchs verlässt Bau und Park

Für den Fuchs beginnt der 24.12. standardmäßig recht zeitig. Er verlässt seinen Bau auf der Meidlinger Seite von Schönbrunn etwa um fünf Uhr morgens. Schnurstracks geht’s die Diagonale rauf, vorbei an der Gloriette, um kurz am Hietzinger Friedhof einen Stopp einzulegen und beim Grab der Eltern ein Kerzerl anzuzünden. Die Eltern vom Fuchs haben hier ein stattliches Platzerl, direkt hinter dem Grabstein von Henrietta Strauss, der Frau des berühmten Komponisten Johann Strauss. Ursprünglich wollten die Eltern vom Fuchs ja hinter dem Strauss selbst begraben werden, aber dem Zentralfriedhof und das war dem Fuchs ehrlich gestanden einfach zu weit weg. Hier in Hietzing ist’s auch schön, hat der Fuchs gefunden, und außerdem kann er dann zu Weihnachten und Allerheiligen ein Kerzerl anzünden, ohne durch die halbe Stadt tigern zu müssen.


Wenn der Fuchs den Hietzinger Friedhof verlässt, ist es etwa halb sechs. Jetzt gilt es, hurtigen Schrittes weiter Richtung Meidlinger Bahnhof zu traben, denn der Zug nach Graz fährt um kurz nach sechs ab und der Fuchs ist gerne pünktlich. Der Weg zum Bahnsteig führt für den Fuchs durch einen Tunnel. Um unerkannt zu bleiben, wählt er diese diskrete Variante. Früher, als er noch den Güterzug um vier Uhr genommen hat, war das nicht nötig. Um die Uhrzeit und in der Dunkelheit war kein Mensch am und um den Bahnhof. Mittlerweile tut er sich die frühe Uhrzeit allerdings nicht mehr an. Es schreckt sich ja auch kein Mensch mehr vor einem Fuchs und der Fuchs gewinnt zwei Stunden Schlaf.


Am Bahnsteig angekommen, erblickt der Fuchs zu seiner großen Überraschung den Eberhard. Der Eberhard hat seinerzeit im Schönbrunner Zoo als Tierpfleger gearbeitet. Leidenschaftlich gerne hat der Eberhard diesen Job gemacht. Gelernt hat er im Affenhaus und später war er bei den Nilpferden stationiert. Blöderweise hat der Eberhard – total ärgerliche Sache – eine Allergie bekommen und konnte vor lauter Tränen, Niesen und Schnupfen nicht mehr richtig seinem Job nachgehen. Nach langem Hin und Her hat der Zoodirektor mit der Chefin von der Gärtnerei vom Schönbrunner Schlosspark gesprochen, weil der Eberhard halt einfach eine Instanz im Zoo war und man den nicht einfach so hätte rausschmeißen können und wollen. Die Sabine, die Chefin von der Gärtnerei, hat eine soziale Ader und hat den pflanzen- und grünschnitttechnisch völlig unbegabten Eberhard in der Gärtnerei aufgenommen. Da war der Eberhard sicher schon 60.


Kurz nachdem er den Job in der Gärtnerei begonnen hat, ist zu allem Überfluss seine Frau verstorben. Ein harter Schlag für den Eberhard, frage nicht. Dem ist es überhaupt nicht gut gegangen und er hat auf seine alten Tage wieder zu rauchen begonnen. Am liebsten hat er im Wald – unmittelbar neben dem Bau vom Fuchs – eine geraucht. Und auch gern mal eine Träne vergossen oder ein kleines Gebet gesprochen. Ein bisschen mit seiner Frau geplaudert sozusagen. Ja und da haben er und der Fuchs sich kennengelernt. Als der Fuchs nämlich den Eberhard wieder mal so Trübsal blasend dasitzen gesehen hat, ist er in den Keller von seinem Bau und hat zwei Stamperln und ein Fläschchen Portwein geholt – für Portwein hat der Fuchs eine Schwäche. Mit dem goldbraunen Weinbrand bewaffnet hat er sich neben den Eberhard gesetzt und mit ihm schweigend genippt. Den Eberhard hat das Erscheinen vom Fuchs nicht geschreckt, weil zum Fürchten war dem Eberhard überhaupt nix mehr nach diesen Schicksalsschlägen.


Im Gegenteil, der Eberhard hat diese Begegnung mit dem Fuchs nicht nur hingenommen, sondern sich fast ein bisschen gefreut. Beim zweiten oder dritten Treffen hat der Eberhard dann auch seine Klampfe mitgenommen und er und der Fuchs haben STS-Hadern gesungen. Erst mal eher so aus Nostalgie, aber dann doch immer mehr mit Inbrunst und neu erstrahlter Lebensfreude.


Irgendwann hat der Fuchs dem Eberhard von seinem Onkel aus Graz erzählt. Der Onkel vom Fuchs ist in der Pension nach Graz gezogen, davor hat er in der Obersteiermark im Bergbau gearbeitet. Jedenfalls wollte der Fuchs den Onkel zu Weihnachten gerne mal besuchen, weil ja die Eltern vom Fuchs verstorben waren und der Bruder auf Grund bösartiger Erbschaftszwistigkeiten nicht mit ihm sprach. „Weißt, einfach nach Graz und mit’m Onkel und den Cousinen Weihnachten feiern. Das würd’ mir schon taugen.“, hat der Fuchs dem Eberhard gestanden.


Über dieses fast emotionale Geständnis vom Fuchs ist der Eberhard ins Grübeln gekommen. Und da ist dem Eberhard ein Spezi eingefallen, der bei der Cargo, also beim Gütertransport, tätig war. Diesen Spezi hat der Eberhard kurzerhand gefragt, wann denn und vor allem wo denn so die Türen von den Waggons aufgehen, wo üblicherweise Pakete und derlei Zeug verladen wird. Das hat der Eberhard seinen Freund bei einem Bier gefragt. Einfach so, aus Interesse. Das ist dem Spezi nicht verdächtig eingefahren, ganz im Gegenteil. Weil der Spezi war irre stolz auf seinen Job bei der ÖBB. So stolz, dass er auch in der Freizeit immer ÖBB-Polos getragen hat. Jedenfalls hat der Spezi dem Eberhard alles bis ins letzte Detail erklärt. Sogar die Züge mit den Waggons hat er ihm ausgezeichnet. Der Spezi vom Eberhard hat sich irrsinnig reingesteigert und nach dem vierten Bier hinter vorgehaltener Hand erklärt, dass es schon ein Wahnsinn ist, dass die Waggons zum Teil einfach leer in der Gegend herumfahren. „Der LKW-Transport frisst der Cargo die Lieferungen weg“, hat der Spezi gebrummt. Na, und da ist der Eberhard hellhörig geworden und hat eben genauer nachgefragt, welche Waggons das so sind, die da leer bleiben, und wann die fahren. Der Spezi hat dem Eberhard alles erzählt, alles.


Mit diesen neu ergatterten Informationen ist der Eberhard freudenstrahlend zum Fuchs und hat ihm genau beschrieben, wie, wann und wo er in den Zug nach Graz steigen muss. „Aussteigen wird kein Thema sein,“ hat der Eberhard richtig erkannt, „wenn die einen Fuchs sehen, schrecken sie sich und du huscht raus.“ „Klar“, hat der Fuchs gemurmelt und sich seinerseits schon ein bisschen gefürchtet. Er hat ja nicht ahnen können, dass der Eberhard das so schnell für ihn eintütet und dass er am 24. Dezember 2011 zum ersten Mal in den Zug nach Graz steigen würde.


„Alles Gute zum Zehnjährigen“, sagt der Eberhard mit einem fetten Grinsen im Gesicht. „Das hab’ ich dir mitgebracht.“ Im Morgengrauen steht der Eberhard dem Fuchs am Bahnsteig gegenüber und hält dem Fuchs ein Körbchen entgegen.

„Vanillekipferl von der Schwester und ein Portwein von mir. Selbst gebacken, selbst gekauft“, scherzt der Eberhard.

„Geh Eberhard, das wär’ doch nicht notwendig gewesen“, stammelt der Fuchs.

Da stehen sie zu zweit am Bahnsteig vier und grinsen sich an. Der Fuchs sichtlich verlegen. Der Eberhard sichtlich gerührt.

Der Fuchs senkt den Kopf und erblickt den Portwein im Geschenkkorb. „Dass du dich noch erinnern kannst, dass mir der 84er-Jahrgang so gut geschmeckt hat!!“

„Ehrensache, sagt der Eberhard. Is ja Weihnachten.“


 
 
 

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